Handwerk an, Ideale aus

Arbeit von Stefanie Unruh in der Münchener Lukaskirche (Foto: Willy Hafner)

Um das Licht, das Leben und die Hoffnung kreist dabei eine gerade für Handwerker bespielhafte Arbeit der Münchner Künstlerin Stefanie Unruh. Sie hängt in der Lukaskirche, dem "evangelischen Dom" Münchens, sechs Glühbirnen scheinbar achtlos über eine aufgestellte, mit Farbklecksen übersäte Doppelleiter. Die Glühbirnen blinken einen Satz als Morsecode: "Ich weiß nie, arbeite ich gerade oder nicht?" – ein Zitat aus einem Theaterstück des deutschen Dramatikers und Regisseurs René Pollesch. Für viele Menschen ist dieser Satz, nicht nur in Corona-Zeiten, Alltag. In Zeiten, in denen die Grenze zwischen "Produktions-" und "Privatsphäre" mehr und mehr verschwimmt, in der Privates und Arbeit immer mehr verschleifen, gilt als erfolgreich, wer pausenlos kreativ, flexibel, mobil und multikompetent tätig ist.

Arbeit oder Nicht-Arbeit, das ist hier die Frage
Die 1959 in Hamburg geborene, im Allgäu aufgewachsene und an der Kunstakademie in München ausgebildete Künstlerin spielt in ihrer Arbeit auf eine
inzwischen alltägliche Situation vieler Menschen an: Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Wohnund Arbeitsort ist für viele aufgehoben. Das in der Lukaskirche scheinbar vergessene, mit Arbeitsspuren traktierte Vehikel für mannigfaltige Handwerksarbeiten steht statisch da, gibt seine Funktion als alltägliches Hilfsmittel auf und dient als Aufhängung für blinkende Glühbirnen. Diese Lampen befinden sich im ständigen Wechsel von Sendung und Pause, von "Arbeit" und "Nicht-Arbeit". Es gibt, so signalisiert die Leiter, für viele Menschen heute keine Freizeit mehr, ständig sind Mails zu checken, News zu twittern oder soziale Medien zu bedienen. Ein Anspruch, der vielbeschäftigten Handwerkern, die ständig erreichbar sein müssen, nicht unbekannt sein kann. Galt lange Zeit eine handwerkliche Tätigkeit als Ideal einer selbstbestimmten und nicht entfremdeten Arbeit, bei dem Leben und Arbeit eine Einheit bilden, als eine Art Gegenentwurf zum kapitalistischen Prinzip der Arbeitsteilung, wird dies seit kurzem als Norm propagiert. Ein neues Sklaventum, welches die Verschleifung von Arbeit und Freizeit zu einem neuen Ideal erklärt, verwebt sich seit einigen Jahren nicht nur im "Homeoffice" auf aktuelle Weise. 

(Veröffentlicht am 18. Mai 2021)

Autor/in: Willy Hafner