Friedhof für die Lebenden

Eröffnung des "Campus Vivorum" (Foto: Achim Eckhardt / Initiative Raum für Trauer)

Blick über einen Teil des 6.000 m² großen Geländes des "Campus Vivorum" (Fotos: Bärbel Holländer)

Bürgermeister und Verwalter würdigten am Eröffnungstag die zusammengetragenen Ideen.

Grabfeld mit individuell gestaltbaren Modulen

Über 300 Bürgermeister, Friedhofsverwalter und andere Vertreter von Kommunen und Kirchen aus ganz Deutschland kamen am 29. Juni zur Eröffnung des weltweit ersten Experimentierfelds zur Friedhofsentwicklung am Gelände der Kunstgießerei Strassacker in Süßen. Mit dabei waren auch Vertreter der relevanten Verbände, so auch des Bundesverbands Deutscher Steinmetze und des Deutschen Naturwerkstein-Verbands. Mitglieder beider Verbände haben sich am Bau der Anlage beteiligt. Am 30. Juni und 1. Juli folgten insgesamt 800 Vertreter der am Friedhof tätigen Gewerke der Einladung zum Besuch des "Campus Vivorum". Dort erlebten sie die bauliche Umsetzung der über Jahre erarbeiteten Forschungsergebnisse zur psychologischen Wirkung des Grabes als Trauerort.

Der Zukunftspark bietet außerdem Gemeinschaftsflächen für Begegnung und Austausch sowie gemeinsames Erinnern. "Friedhöfe mit entsprechenden Angeboten sind besonders wichtig für Kommunen und ihre Bürger", so Günter Czasny, Initiator und Sprecher der Initiative Raum für Trauer. Ideeller Träger der Initiative ist die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal mit Sitz in Kassel. "In Lebenskrisen geben Rituale Sicherheit", so deren Geschäftsführer Dr. Dirk Pörschmann. "Nur wenn wir verstanden werden und unserer Sehnsucht Ausdruck geben dürfen, finden wir Trost."

Raum für Trauer bieten
MdL Nicole Razavi, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen in Baden-Württemberg sowie Vorsitzende der deutschen Bauministerkonferenz, betonte im Rahmen der Eröffnung die Bedeutung der Friedhöfe für die Kommunen und des Grabes als Trauerort: "Die Initiative Raum für Trauer hat erkannt, wie wichtig individuelle Trauerarbeit für Hinterbliebene ist. Diese Individualität müssen wir weiter fördern, indem wir den Wandel der Trauer- und Friedhofskultur vorantreiben. Der 'Campus Vivorum' leistet dabei einen enorm wichtigen Beitrag. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung des Friedhofs weg von einer reinen Ruhestätte hin zu einem lebendigen Ort der Erinnerung. Einen Ort, an den wir gerne gehen."

Trauerschmerz kann sich zur Trauerstörung verstetigen. Vielen Menschen hilft es nach Erkenntnissen der Initiative Raum für Trauer, ihrem Schmerz nahe beim Verstorbenen Ausdruck zu verleihen, nämlich direkt am Grab. Das ist jedoch aktuell bei den meisten pflegefreien Beisetzungsformen nicht vorgesehen – Konflikte entstehen, die die Trauerarbeit behindern. Unter der Federführung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal haben deshalb Wissenschaftler u.a. aus Psychologie, Soziologie, Kognitionswissenschaften und Trendforschung sowie Experten aus allen am Friedhof tätigen Berufen gemeinsam die Wirkung des Grabes als Trauerort erforscht und den "Campus Vivorum" entwickelt. Die Planung übernahm das in der Friedhofsplanung bereits erfahrene Büro für Landschaftsarchitektur "Karres en Brands" aus dem niederländischen Hilversum. 

Anregungen für Planer, Verwalter und Betreiber
Die ca. 6.000 m² große Anlage soll Planern, Verwaltern und Betreibern Anregungen dazu geben, wie man pflegefreie Beisetzungsorte künftig (neu)gestalten kann, damit sie Trauernden helfen, ihre Trauer zu verarbeiten. Von der Tragweite des Projekts überzeugt zeigte sich der Trend- und Zukunftsforscher sowie Gründer des in Wien und Frankfurt am Main beheimateten Zukunftsinstituts, Matthias Horx: "Hier werden Trauerkultur und Friedhofsentwicklung in die Zukunft gedacht – für jede Gemeinde, für jede Stadt ein enorm wichtiges Thema", erklärte er. Horx wirkt seit Jahren an der Arbeit der Initiative mit, zu der er u.a. eine Studie (Zukunftsinstitut/YouGov) beigesteuert hat.

Best Practice in Süßen
Auf dem kommunalen Süßener Friedhof "Stiegelwiesen" wurden bereits vor Jahren zwei Grabanlagen nach diesen Erkenntnissen gestaltet. Die am Lebenden orientierte Gestaltung von Gemeinschaftsanlagen bewährt sich hier bereits in der Praxis – Bürgermeister Marc Kersting: "Dass es vielen Angehörigen hilft, persönliche Grüße und Gegenstände direkt auf dem Grab abzulegen, haben wir bei der Konzeption der pflegefreien Grabanlagen auf unserem Friedhof 'Stiegelwiesen' berücksichtigt – mit großem Erfolg, denn wir konnten diese Anlagen bereits erweitern. Wir sind sicher, den Menschen damit zu helfen."

Herzlichen Glückwunsch zu diesem mit großem Einsatz und Weitblick verwirklichten Gemeinschaftsprojekt, das die Begeisterung der Festgäste voll verdient.

https://raum-fuer-trauer.de/ 
https://trauer-now.de 

[06.07.2023]

Bearbeitung: Bärbel Holländer

Autor/in: Initiative Raum für Trauer