Stammtisch auf dem Friedhof und andere Trauerformen

CAMPUS VIVORUM: Experimentierfeld für die Friedhofsentwicklung und Trauerforschung. (Copyright Karres en Brands)

Zum Tag des Friedhofs hat die Initiative "Raum für Trauer" (Süßen) thematisiert, wie neue Erkenntnisse der Trauerforschung in der Friedhofsentwicklung eingesetzt werden könnten. Ihrzufolge brauchen Friedhöfe Handlungsräume, die die Lebenssituationen von Menschen in unterschiedlichen emotionalen Zuständen berücksichtigen und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund rücken – nicht als Ort der Toten, sondern als Raum für die Lebenden. Die Beisetzungsorte selbst sollten – auch bei pflegefreien Grabformen – von Trauernden so in Anspruch genommen, gestaltet und gehandhabt werden dürfen, wie sie es für die Bewältigung ihrer Trauer wünschen. Als bedürfnisorientierte Trauerorte gestaltet, können sie vielen Hinterbliebenen nach Auffassung der Initiative eine wichtige psychologische Unterstützung sein. Zusätzlich sollten Friedhöfe auch öffentliche Räume beispielsweise für Begegnung, Austausch, Kinder, Naturerlebnisse oder kollektive Trauer bieten, so Günter Czasny, Sprecher von "Raum für Trauer".

Kurz nach dem Tod von Angehörigen sind Hinterbliebene oft überfordert. Sich für eine Grabform zu entscheiden, die den verschiedenen Phasen ihrer Trauer gerecht wird, erfordert aber Weitblick. Und: "An Beisetzungsorten, an denen persönliche Trauerhandlungen nicht erlaubt sind, entstehen sehr oft Konflikte", so Czasny. Wichtig sei, dass pflegefreie Gräber angeboten werden, die den Trauernden ermöglichen, persönliche Grüße direkt am Beisetzungsort abzulegen.

"Im Schockzustand des Verlustes treffen Hinterbliebene oft Entscheidungen, die sie später bereuen", so Czasny. Die Initiative schlägt vor, Hinterbliebenen für eine ausgewogene Entscheidung eines Beisetzungsortes einige Tage oder auch Wochen Zeit anzubieten. Ein "Andachtsraum für die Urne" als temporärer Trauerort könne ihrer Ansicht nach z.B. Angehörigen die nötige Zeit für die Wahl der endgültigen Beisetzungsform geben. Czasny wünscht sich für den Friedhof der Zukunft: "Es wäre schön, wenn wir uns vorstellen können, als Freundeskreis, Stammtisch oder Vereinskollegen uns auf dem Friedhof der Zukunft zusammenzufinden, um bei einem kleinen Picknick, Umtrunk und gemütlichen Plausch einen lieben verstorbenen Freund oder eine Freundin zu besuchen und in unsere Mitte zu nehmen."

Experimentierfeld für die Friedhofsentwicklung

Die Initiative Raum für Trauer tritt dafür ein, Friedhöfe zukünftig psychologisch wirksam und gesellschaftlich verbindend als lebendigen Teil der Stadt zu gestalten. Dies ist bereits modular in der Realität erprobt sowie ökonomisch und ökologisch nachhaltig umsetzbar. Als weltweit erstes Labor- und Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung hat die Initiative den CAMPUS VIVORUM entwickelt und realisiert. Er wurde am 29. Juni 2023 in Süßen (Baden-Württemberg) als Grundlage für weitere Forschung und zur Vermittlung der Erkenntnisse eröffnet und kann nach Terminabsprache besichtigt werden. Mehr unter https://raum-fuer-trauer.de/campus-vivorum/.

(1.11.2023, sh)