Ein Friedhof erzählt Geschichten

Der Friedhof Sihlfeld in Zürich. Foto: CC BY-SA 3.0

Der Zürcher Friedhof Sihlfeld ist kein klassischer Friedhof, vielmehr ist er einer zum Anfassen, Betrachten und nicht zuletzt zum Lauschen. Der Grund: Das Stadtzürcher Bestattungs- und Friedhofsamt möchte den Wert von Grabmälern erlebbar machen. Vor allem, weil viele Schweizer ganz auf ein sichtbares Zeichen ihrer letzten Ruhestätte verzichten und lieber ihre Asche verstreuen lassen oder in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt werden. Das Bestattungs- und Friedhofamt möchte also Grabmäler aus der Versenkung holen und sammelt deshalb schon seit den 1970er Jahren besonders originelle und handwerklich raffiniert gestaltete Grabmäler von aufgehobenen Begräbnisstätten. Manche davon präsentiert das Stadtzürcher Amt in einem "Ausstellungsfeld" – so auch auf dem Friedhof Sihlfeld. Locker über eine Wiese verteilt stehen hier Monolithen, Metall- und Glasplastiken. Um diesen stillen Steinen eine Stimme zu geben, so Sergio Gut, Direktor des Bevölkerungsamts, gibt es auf dem Friedhof nun auch ein "Lauschfeld".

Friedhof zum Anhören
Dort laden drei braune Hocker und Säulen die Besucher des Friedhofs dazu ein, die Grabmale nicht nur anzuschauen und anzufassen, sondern darin zu verweilen. Die Säulen sind mit kleinen Lautsprechern ausgestattet. Drückt man auf den Knopf auf der Säule, kann man ein Dutzend sachliche, poetische und kuriose Geschichten zu den Themen Tod und Grabmalkultur hören. "Pflanze einen Baum, baue ein Haus, finde einen Partner – wähle einen Grabstein". Etwa so klingt ein fiktiver Bildhauerdialog zum Thema Grabmal, der die Zuhörer darauf aufmerksam macht, dass sich die wenigsten freiwillig mit dem eignen Grabmal auseinandersetzen. Auch vom Abwracken eines Mississippi-Schiffes und dessen Reisen erzählen die Säulen. Dabei wird sanft auf die letzte Überfahrt eines Menschen angespielt. Außerdem können die Besucher fünf amtlichen Schriftwechseln lauschen, ausgegraben aus dem Archiv der Fachstelle Grabmalkultur. So etwa ein E-Mail Schriftwechsel mit einem Mann, der routinemäßig aufgefordert wurde, das Holzkreuz auf dem Grab seiner verstorbenen Frau in Bälde durch einen Grabstein zu ersetzen. Der Mann antwortete daraufhin: "Wie ich meinen engsten Angehörigen gedenke, lasse ich mir weder von Ex-Frauen, noch von einem – lassen Sie mich das deutlich sagen – beschissenen Paragrafen diktieren!"

Grabmal und Friedhof näher bringen
Um den Besuchern ein wenig den Respekt vor den historischen Grabmalen zu nehmen, sind die "Lauschhocker" bewusst nah an den Grabmalen aufgestellt. Denn, es sind nur Steine, keine Gräber, so Schauspieler Gian Rupf bei der Eröffnungsfeier. Dort verloren die Besucher tatsächlich ihre anfängliche Scheu und lehnten sich stehend oder sitzend an die Steine.
Mit der Ausstellung und dem "Lauschfeld" sollen nicht nur Grabmale, sondern Friedhöfe im Allgemeinen beworben werden. Auf dem Friedhof Sihlfeld sind schließlich nur noch 40 % der Grabflächen belegt. Deshalb möchte das Bestattungsamt die Friedhöfe zunehmend als Parkanlagen und Kulturstätten bespielen, um ein breiteres Publikum zu erreichen.

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(Veröffentlicht am 25.06.2018)