Das Buch "Die Pflanzenwelt des Naumburger Meisters" von Günter Donath und Frank Richter ist der erste große Versuch, die mittelalterliche Pflanzenwelt, welche unsere Altvorderen in den Portalen, Kapitellen und Werksteinen der großen Dome, Münster und Kathedralen in Stein manifestierten, eingehender zu betrachten. Es zeigt exemplarisch die Pflanzenwelt des "Naumburger Meisters", der seine Reise durch das mittelalterliche Europa des 13. Jahrhunderts vom französischen Reims ausgehend über Metz, Mainz und Naumburg bis nach Meißen bestritt.

Das Druckwerk enthält eine faszinierende Symbiose aus naturwissenschaftlichen, botanischen, gestaltungstechnischen, religiösen und historischen sowie architektonischen Betrachtungsweisen. Dies wird im Kapitel "Steckbriefe der Kapitelpflanzen" besonders deutlich. Hier wird alphabetisch sortiert deutlich, wie viele unterschiedliche Pflanzen die Wände der »steinernen Riesen« bevölkern und, dass diese nicht nur aufs Geradewohl eingesetzt, sondern abgestimmt auf die Funktion und Lage des jeweiligen Bauteils platziert wurden. Darüber hinaus lösen sie ältere Götzenbilder und Darstellungen ab, die das Böse abwehren sollen und üblicherweise Verwendung in der Bildsprache der alten Bauwerke fanden.

Pflanzenbestimmung an Baudenkmälern
Neben allgemeinen Kapiteln zur Bautechnik, dem Blick in die Werkstätten der Bauhütten und einem allgemeineren Abriss der gotischen Stilkunde präsentieren die Autoren die "steinernen Gärten" in großformatigen Bildern, bereichert durch Fotos der natürlichen Vorlagen. Dabei lassen sich für den Steinmetzen und Steinbildhauer anhand der Steinoberfläche interessante Schlüsse über die damaligen Arbeits- und Ausführungstechniken sowie die unterschiedliche Qualität der ausgeführten Arbeiten ziehen. Letztere offenbaren auch heute noch anwendbares Detailwissen für die eigene Werkstatt.
Auch für Restauratoren und Kunsthistoriker bietet das Buch erste Anhaltspunkte im bisher weitestgehend unbearbeiteten Feld der Pflanzenbestimmung an Baudenkmälern. Für den Steinmetzen wäre ein Kapitel über die mittelalterliche Herstellungsweise des Blattwerks interessant gewesen, die sich wohl durch die genauere Betrachtung der erhaltenen Bauzier ableiten ließe. Auch ein paar Fotos aus einem Blick¬winkel, der dem regulären Kirchgänger verborgen bleibt, wären wünschenswert gewesen. Deren zu erwartendem Umfang nach, bedürfen sie aber eher einer eigenen Publikation.

Für denjenigen also, der ein möglichst umfassendes Bild der mittelalterlichen Sakralbauten erhalten möchte, stellt diese großformatige, anspruchsvoll gestaltete Fachpublikation im Spezialgebiet der pflanzlichen Bauzier ein unumgängliches, im deutschen und wohl auch internationalen Sprachraum alternativloses Standardwerk dar.

Die Pflanzenwelt des Naumburger Meisters, Gärten aus Stein, Günter Donath/Frank Richter, mit einem Beitrag von Holger Kunde, Michael Imhof Verlag, 24 x 30 cm, 272 Seiten, 564 Farbabbildungen, Hardcover; 49,95 €, ISBN 978-3-7319-0315-4

(14.3.2017)