Den Friedhof neu erfinden

Matthias Horx vor dem Publikum des Symposiums "Heilsame Abschiede"

Matthias Horx und Arge-Geschäftsführer Dr. Dirk Pörschmann (rechts)

Rund alle 33 Sekunden stirbt in Deutschland ein Mensch, d.h. eine Million im Jahr (Fotos: Harald Lachmann)

Am 25. Oktober fand im Maternushaus in Köln ein Kongress statt, der sich ausschließlich und zudem thematisch sehr breit dem Thema Trauer widmete – vor allem der Trauer über den Verlust nahestehender Menschen. Organisiert wurde das ganztätige Symposium von der Future Day GmbH mit dem führenden deutschen Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx sowie der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. (Arge) in Kassel. Diese engagiert sich seit Jahrzehnten zusammen mit dem Kasseler Museum für Sepulkralkultur für einen angemessenen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer im deutschsprachigen Raum.

Der Kongress unter dem Titel "Heilsame Abschiede" beschäftigte sich vor allem mit zwei Problemfeldern: dem Wandel der Trauerkultur im Zeitalter von Individualität und Digitalisierung sowie der "Bedeutung von Raum, Zeit und Ort für die Trauer". Zwangsläufig im Mittelpunkt stand damit auch die Zukunft der Friedhöfe. Angereist waren dazu über 300 Soziologen, Theologen und Psychologen, Kunsthistoriker und Volkskundler, aber auch viele Friedhofsverwalter, Vertreter von Kommunen sowie von Gewerken, die traditionell am Friedhof tätig sind wie Steinmetzen, Friedhofsgärtner und Bestatter.

Individuell leben, individuell sterben
Bei aller konträren Diskussion waren sich die Teilnehmer einig darin, dass der Friedhof trotz aufkommender alternativer Bestattungsmöglichkeiten in seiner überkommenen Form eine Zukunft hat – doch nur, wenn er eine "offensive Mehrfelder-Strategie" verfolge, so der Soziologe Dr. Thorsten Benkel von der Universität Passau. Denn in Zeiten, da Menschen zunehmend "individuell leben, wollen sie auch individuell sterben", betonte der Forscher und Autor zahlreicher Bücher zum Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer. Damit aber stießen sie im Moment auf vielen Friedhöfen an Schranken. Schon immer seien Friedhöfe auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels gewesen, hoben auch andere Referenten hervor. So müssten diese – ganz gleich, ob sie sich in kommunaler oder christlicher Trägerschaft befinden – in ihrem ureigenen Interesse neben den historisch gewachsenen Riten der Beerdigung auch vielfältige neue Formen ermöglichen. Wo dies der Fall sei, so etwa in den Niederlanden, gebe es inzwischen eine verstärkte Rückbesinnung zu herkömmlichen Friedhöfen und auch zu Erdgräbern, lautete ein Tenor des Kongresses.

Auch Arge-Geschäftsführer Dr. Dirk Pörschmann betonte, dass ein Friedhof "nicht so etwas wie ein Finanzamt" sei. Man könne und dürfe hier "nicht alles regulieren". Er warb dafür, dass sich die Nekropolen auch jenseits der Bestattungen deutlich stärker einer breiteren öffentlichen Nutzung zuwenden. "Warum sollen hier Kinder beispielsweise nicht Fahrradfahren lernen", fragte er. So entwickelten sie zu diesem Ort schon früh ein sehr persönliches Verhältnis und wollten hier dann im Alter auch selbstverständlich beigesetzt werden. Die Landschaftsarchitektin Professor Dr. Constanze Petrow forderte sogar, "den Friedhof neu zu erfinden". Stärker denn je müsse er auch angesichts des Klimawandels Teil des öffentlichen Grüns einer Kommune sein – und damit auch von den Städten unterhalten werden. Denn bisher finanzieren sich Friedhöfe vor allem über die Gebühren der Hinterbliebenen.

Logistisch wie finanziell maßgeblich unterstützt wurde der Kongress durch die Kunstgießerei Strassacker in Süßen. Ihr stellvertretender Geschäftsführer Günter Czasny kündigte für die nächsten Tage weitere spektakuläre Aktionen an, um die zu oft aus dem Alltag verdrängten Themen Tod, Sterben und Trauer stärker wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Eine Rolle soll hierbei auch eine "Sterbeuhr" übernehmen, die bereits in Köln hörbar tickte. Denn rund alle 33 Sekunden stirbt in Deutschland ein Mensch - rund eine Million im Jahr.

 

(Veröffentlicht am 29. Oktober 2019)
 

Autor/in: Harald Lachmann