Friedhöfe schützen und gestalten

Nach der Schildübergabe auf dem Ohls­dorfer Friedhof, Hamburg, v.l.n.r.: Carsten Helberg, GF der Hamburger Friedhöfe -AöR-; Prof. Norbert Fischer, Kulturhistoriker; Michael Karbenk, Obermeis­ter der Steinmetzinnung Hamburg und Vorstand des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e.V.; Dr. Christian Lübcke, GF des Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Landesverband Hamburg. (Foto: Hamburger Friedhöfe -AöR-)

Am 20. März – Tag des Lockdowns – zeichnete die Kultusministerkonferenz die Friedhofskultur in Deutschland als immaterielles Kulturerbe der UNESCO aus. Coronabedingt wurde dafür bislang zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit erreicht. Zur besseren Wahrnehmung beitragen soll die bundesweite Aktion "Friedhöfe auszeichnen". Deshalb ordnete man für den 18. September 2020 die gleichzeitige Auszeichnung der wichtigsten deutschen Friedhöfe in über 100 Städten an. Auf dem Hamburger Parkfriedhof Ohlsdorf nahm Carsten Helberg, Geschäftsführer der Hamburger Friedhöfe -AöR-, das entsprechende Schild in Empfang. Als Jurymitglied erläutert Prof. Dr. Norbert Fischer die Besonderheiten der Auszeichnung und den Gewinn für die Friedhofskultur. Abschließend stellt Dr. Christian Lüdtke, Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Hamburg, die Bedeutung der Friedhöfe als Orte der lebendigen Erinnerung und Gedächtnis der Stadt dar.

Auszeichnung für das, was Menschen auf Friedhöfen tun
Mit der Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis würdigt die Bundesrepublik den identitätsstiftenden, lebendigen und vielschichtigen Wert der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft, und das nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch unter sozialen und historischen Aspekten oder in Bezug auf Klimaschutz, Integration und Völkerverständigung. "Dies ist vor allem auch eine große Anerkennung für die über 100.000 Menschen, die sich hierzulande für das Friedhofswesen engagieren", freut sich Tobias Pehle, Initiator der antragstellenden "Initiative Kulturerbe Friedhof", zu der sich viele Kräfte im Friedhofswesen zusammengeschlossen hatten. Denn ausgezeichnet wurden nicht die Friedhöfe an sich, sondern v.a. das, was Menschen auf dem Friedhof tun: das Trauern, Erinnern und Gedenken einerseits, das Gestalten, Pflegen und Bewahren andererseits. Den Rahmen dafür schaffen Friedhofsverwalter*innen, Bestatter*in­nen, Gärtner*innen und Steinmetz*innen, aber auch viele ehrenamtlich Tätige in christlichen, jüdischen und muslimischen Gemeinden. Hinzu kommen viele Menschen, die sich in Vereinen z.B. um den Denkmalschutz verdient machen. Die Ernennung zum Kulturerbe ist dabei für den Einzelnen genauso bedeutsam wie für die Gesellschaft, erläuterte Dr. Dirk Pörschmann, Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel: "Was es bedeutet Mensch zu sein, wird in besonderer Weise auf Friedhöfen deutlich. Wir brauchen Rituale, um Verluste zu überwinden. Alles was Menschen auf Friedhöfen in Deutschland gestalten, kommt ihrer persönlichen Trauer wie auch der kollektiven Erinnerungskultur zugute. Das macht den Ort der Toten zu einem lebendigen Ort." Laut Tobias Pehle geht es also nicht darum, den Friedhof zu mumifizieren; vielmehr wolle man die aktuellen Ausdrucksformen des Friedhofswesens in den Fokus rücken. Hierzu gehören z.B. naturnahe Gestaltungskonzepte, moderne Gedenksteine oder Gemeinschaftsgrabanlagen wie der Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.

Auch wenn es beim immateriellen Erbe der UNESCO nicht um das Trennende von Kulturen geht, so ist die Friedhofskultur in Deutschland doch einzigartig. "Die Art und Weise, wie wir unsere Gräber als kleine Gärten der Erinnerung individuell und oft auch selbst gestalten ist genauso besonders wie das Einbetten der Gräber in Parklandschaften", erklärt Friedhofsexperte Prof. Dr. Norbert Fischer. Zugleich wird durch die Ernennung zum Kulturerbe aber auch auf Bedrohungen der Friedhofskultur aufmerksam gemacht. Als Risikofaktoren benennt der Antrag die Zunahme von sog. Naturbestattungen außerhalb der klassischen Friedhöfe, aber auch Versäumnisse im Friedhofswesen selbst. So sind z.B. bei der Friedhofsplanung und den Gestaltungsvorgaben von Grabstätten neue Konzepte erforderlich.

Bundesweit nimmt sich jetzt das neu gegründete "Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur in Deutschland" des Erbes an. Ziel ist es, die Bedeutung der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft in der Breite der Bevölkerung zu verankern und so – im Sinne der UNESCO – zu deren Schutz beizutragen. Ein erster Schlüssel dazu ist die Internetseite www.kulturerbe-friedhof.de, die umfassend über das Erbe informiert.


Fragen und Antworten

Wozu dient die Ernennung der Friedhofskultur in Deutschland zum immateriellen Erbe?
Hinter der Ernennung steht das Ziel, den Wert der Friedhofskultur in Deutschland wieder in das Bewusstsein unserer  Gesellschaft zu tragen sowie einen aktiven Beitrag zu Erhalt und Entwicklung dieser wichtigen Kulturform zu leisten.

 
Wie erfolgt die Ernennung zum immateriellen Kulturerbe?
Die UNESCO ist die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Ihre Generalkonferenz hat 2003 das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes verabschiedet, dem Deutschland 2013 beigetreten ist. Anträge zur Ernennung einer Kulturform zum immateriellen Erbe werden über die Bundesländer eingereicht, grundlegend geprüft und an die Deutsche UNESCO-Kommission weitergeleitet. Hier empfiehlt ein Experten-Gremium nach intensiver Prüfung der Kultusmininsterkonferenz die Aufnahme der Kulturform in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Dieser Schritt ist bedeutsam, da sich die Bundesrepublik als Vertragsstaat des Übereinkommens verpflichtet hat, sich um die "Sicherstellung der Erhaltung, Entwicklung und Förderung des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen immateriellen Kulturerbes" zu bemühen.

Wer steht hinter der Ernennung der Friedhofskultur in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe?
Der Antrag wurde von einer Initiative gestellt, zu der sich die führenden Verbände des deutschen Friedhofswesens eigens zusammengeschlossen haben. Es sind dies: Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands, Bundesverband deutscher Bestatter mit Kuratorium deutsche Bestattungskultur, Bund deutscher Friedhofsgärtner im Zentralverband Gartenbau, Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur, Verband für Gedenkkultur und Bund deutscher Grabmalhersteller. Die Bewerbung wurde darüber hinaus von vielen weiteren Verbänden und Vereinen, Institutionen und Organisationen, Innungen und Genossenschaften unterstützt, allen voran von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. mit dem Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Beispielgebend für die gesamte Bundesrepublik haben zudem alle wichtigen Kräfte im Hamburger Friedhofswesen eine entsprechende Unterstützungserklärung unterzeichnet, darunter die Friedhofsbetreiber Hamburger Friedhöfe AöR und Jüdische Gemeinde Hamburg, der Landesverband des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder die Hamburger Steinmetzinnung. Initiiert, organisiert und ehrenamtlich realisiert wurde der Antrag von dem Journalisten und Friedhofsexperten Tobias Pehle.

Was sind die nächsten Schritte?
Die Aufnahme der Friedhofskultur in Deutschland in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes ist eine öffentlich sichtbare Anerkennung dieser Kulturform und ihrer Träger. Diese Anerkennung gilt es jetzt weithin sichtbar zu machen und Aufmerksamkeit auf die Werte der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft zu lenken. Im Sinne der UNESCO geht es dabei auch darum, die Lebendigkeit und Zukunftsfähigkeit der Kulturform zu erhalten und kreativ weiterzuentwickeln. Dazu wird es zunächst wichtig sein, dass alle Trägergemeinschaften – von Friedhofsverwalter*innen über Bestatter*innen bis hin zu den Friedhofsgärtner*innen und Steinmetz­*innen – über das immaterielle Erbe Friedhofskultur informieren und so den Bekanntheitsgrad dieses immateriellen Erbes steigern. Die bundesweiten Aktivitäten werden von dem neu gegründeten "Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur in Deutschland" initiiert, koordiniert und umgesetzt.

 

www.kulturerbe-friedhof.de

 

(Veröffentlicht am 30. September 2020)

Autorin: Bärbel Holländer