Wie Kinder trauern

Dieser Grabstein in Form einer Kugelbahn von Marcus Gröger geht auf einen Ausspruch des Verstorbenen zurück. Seine Kinder hatten bei Friedhofsbesuchen Langeweile geäußert und sich "etwas zum Spielen" gewünscht. In Erinnerung daran gestalteten die nun erwachsenen Kinder das Grab des Vaters für ihre Kinder als Kugelbahn, die rund um eine 1,60 m hohe Basaltsäule verläuft, "mal enger und mal weiter, so wie das Leben ist", sagt Gröger. Die Kugeln fallen in eine Klangschale. (Foto: Günther Schmid)

In Erinnerung an die "Krakelsterne" des verstorbenen Yannik entwarf sein Vater den Stein; rechts unten verewigte er Yanniks Knuddelschaf. In Fächern auf der Grabmalrückseite können Besucher Botschaften hinterlegen; Yannik hatte überall Bonbonpapiere versteckt. Die Familie bastelte und bemalte auch Krakelsterne aus Holz, die sie an ihre nächsten Freunde weitergab. Die Zusammenarbeit mit Steinmetzmeister Hilmar Gröger war für den Vater "ein Geschenk". (Foto: Günther Schmid)

Die Zeichnungen auf dieser Kalkstein-Stele von Claus Birkle stammen von den Geschwisterkindern des verstorbenen Dominik, Sohn eines muslimisch-christlichen Ehepaars. Dominik starb während der Weltmeisterschaft, weshalb diese abgebildet ist. Das Wasserbecken bezieht sich darauf, dass es während der Schwangerschaft unaufhörlich geregnet hatte, so auch bei der Beerdigung. (Foto: Claus Birkle)

Von den Geschwisterkindern stammen die Zeichnungen für dieses Grabmal, das die Mutter des Kindes selbst in der Werkstatt von Claus Birkle (Klepser GmbH) gefertigt hat. (Foto: Claus Birkle)

Die traditionellen Erklärungsversuche Erwachsener, dass der "Opa eingeschlafen sei" oder die "Oma jetzt im Himmel bei den Engeln sei", verstehen gerade Kinder in jungen Jahren nicht. Ganz im Gegenteil können solche Umschreibungen für den Tod eines liebgewonnenen Menschen bei Kindern Ängste auslösen und zum Beispiel Schlafstörungen verursachen. "Wir wollen Kindern eigentlich helfen und lassen sie durch falsche Rücksichtnahme doch allein", sagt Oliver Wirthmann, Theologe und ehemals Geschäftsführer im Kuratorium Deutsche Bestattungskultur. Die pauschale Antwort auf die kindlich-naive Frage, was Tod ist – "Das verstehst du noch nicht, dazu bist du zu klein" – rührt in vielen Fällen von der Ratlosigkeit und eigenen Angst Erwachsener her, die nicht wissen, wie sie den Tod einem Kind erklären sollen. Werden Kinder auf diese Weise behandelt, fühlen sie sich möglicherweise abgeschoben und entwickeln eventuell Schuldgefühle ("Habe ich etwas Böses getan?"), was in ihren Augen diese Ausgrenzung recht fertigen würde.

Kinder trauern anders als Erwachsene
Was viele Erwachsene, die sich so verhalten, nicht bedenken: Kinder trauern anders als die Großen. Die kindliche Trauer ist oft sprunghaft. Während sie im einen Moment weinen, springen sie im nächsten Augenblick wieder fröhlich auf die Schaukel. Kinder agieren oftmals spontan, ziehen sich zurück oder sind aggressiv und wütend. Das sind genauso Zeichen von kindlicher Trauer wie albernes, ausgelassenes Verhalten, ganz so, als ob nichts geschehen wäre. Die Trauer wird zudem spielerisch verarbeitet, indem sich zwei Puppen über den Tod des Papas oder der Schwester unterhalten oder der Teddy in eine Kiste gelegt wird. Aggression verschafft sich Luft, indem möglicherweise ein Spielzeug zerstört wird. Erwachsene irritiert dies, finden das Verhalten möglicherweise pietätlos, und wissen nicht, dass es eine normale Form kleinerer Kinder ist, mit dem Verlust eines nahen Angehörigen umzugehen. Wenn Erwachsene mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt sind, spüren Kinder das sehr genau. Oftmals leugnen sie deshalb ihre eigenen Gefühle, um die Angehörigen nicht noch mehr zu belasten. 

"Papa ist jetzt futsch"
Bis zum fünften Lebensjahr haben Kinder kein Zeitverständnis. Sie spüren die Stimmungen der Bezugspersonen und reagieren auch auf Verluste. Emotional ist es für Kinder in diesem Alter kein Unterschied, ob der Opa oder das Meerschweinchen stirbt. Anders ausgedrückt: Sie unterscheiden nicht, bei wem es sich um einen liebgewonnenen Gefährten handelt und ob jemand nur kurz weg oder tot ist. Dies äußert sich zum Beispiel auch in ihrer Sprache. Kinder sprechen in diesen Augenblicken in kurzen, treffenden Worten, was Erwachsene aus Scham oder Pietät umständlich umschreiben würden. "Papa ist jetzt futsch", sagt möglicherweise ein Kind, wenn der Vater verstorben ist. Diese Nüchternheit der kindlichen Sprache kann Erwachsene erschrecken.

Kindliche Trauer ab zehn Jahren
Zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr ist der Tod dann bereits eine Realität – der allerdings immer nur andere, nie sie selbst trifft. Auf Nachfrage wird der Tod mitunter personifiziert ("schwarzer Ritter") oder in einer bildlichen Botschaft verpackt. Sie spiegeln das gegenwärtige Empfinden und die Ängste des Kindes wider. Jugendliche haben dagegen ein realistisches Todesverständnis. Sie wissen, dass es sich unwiderruflich um das Ende des Lebens handelt. Das kann für sie aber auch einen gewissen Reiz haben, was sich zum Beispiel in Form von Mutproben äußert. Insofern kann erst ab etwa zehn Jahren von kindlicher Trauer gesprochen werden. Ab diesem Alter sind sie in der Lage, bewusst von einem Verstorbenen Abschied zu nehmen. Ein Kind dieses Alters teilt wie andere Familienmitglieder den Schmerz und begleitet sie auf diesem Weg. Das heißt, Kinder werden mitunter einbezogen, wenn es darum geht, den Stein auszuwählen, einen Text zu formulieren, die Schrift festzulegen oder ein Ornament zu gestalten. Sie sitzen als Kunde ebenso wie ihre Eltern mit am Tisch, wenn es um Formen, Materialien, Größen und Symbole geht. Steinmetze können in diesen Momenten ebenso wie Bestatter oder Friedhofsgärtner unmittelbar mit kindlicher Trauer konfrontiert werden. Die Kinder fragen und erwarten Antworten, die möglichst ihrem Alter entsprechend formuliert werden sollten.

Bestatter, Friedhofsgärtner und Steinmetze dürfen Mitgefühl zeigen ("Es tut mir sehr leid, dass dein Opa gestorben ist."), das Kind zum Mitgestalten auffordern und es loben, wenn es sich selbst einbringen möchte. Das unterstützt das Kind in seiner Trauerarbeit und hilft ihm dabei, offener mit dem Tod eines Menschen umzugehen. Im Vorteil ist ein Steinmetz in dieser Situation, wenn er über ein großes Maß an Einfühlungsvermögen sowie gestalterische Qualität und Kreativität verfügt, um die Ideen des Kindes zu verstehen und umsetzen zu können.

Kinder zur Mitarbeit einladen
Kein Kind ist zu "klein", wenn es um den Tod und die Trauer eines Angehörigen geht. Etwas zu tun und aktiv zu sein, hilft Groß und Klein, die Angst
vor dem Traurigen zu verlieren. Kinder erleben dadurch, dass sie für den verstorbenen Opa oder die Oma auch nach deren Tod noch etwas tun können. Betriebe, die Hinterbliebenen eine direkte Mitarbeit bei der Grabmalherstellung ermöglichen, sollten Geschwisterkinder nicht außer Acht lassen. Die
Beispiele in diesem Artikel zeigen, in welche Weise Steinmetze Kinder in die Gestaltung und Fertigung des Grabmal einbinden kann. "Grenzen Sie Kinder von den Vorbereitungen für eine Bestattung bzw. Trauerfeier nicht aus, sondern beziehen Sie sie aktiv ein", appelliert Diplom-Pädagoge Professor Dr. Harald Karutz, Experte für psychosoziale Notfallversorgung speziell von Kindern und Jugendlichen, an alle Erwachsenen.

Etwas für den Verstorbenen tun
Rituale helfen nicht nur Erwachsenen, sondern mindestens genauso auch Kindern, einen Verlust anzunehmen. Bilder und Symbole kommen ihnen besonders
entgegen, die Situation zu verstehen. Insofern kann es sehr hilfreich sein, das Kind bei der (Vorbereitung einer) Trauerfeier einzubeziehen und dessen Fragen zuzulassen: Beispielsweise, warum wird ein Kreuz, ein Stein oder eine Engelsstatue aufs Grab gestellt? Zum Teil lassen Friedhofssatzungen wenig Raum, um Kinder bei der Gestaltung eines Grabsteins einzubeziehen. Mitunter ist es aber gestattet beziehungsweise wird es toleriert, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein großer Feldstein oder mehrere kleinere Steine als Dekoration auf das Grab gelegt werden. Sie ließen sich von Kindern phantasievoll zum Beispiel mit Wünschen an den Verstorbenen beschriften und bemalen. Für Steinmetze wäre dies eine Möglichkeit, beim Beratungsgespräch mit den Eltern auch gegenüber Kindern Empathie zu zeigen.

Es erfordert von den Eltern Mut, Kraft und die Erkenntnis, dass ihr Kind keine Schonung, sondern authentische Wegbegleiter in dieser schwierigen Zeit braucht. Ehrliche Antworten sind hilfreicher auch für Kinder in jungen Jahren, als der gutgemeinte Versuch, sie zu schützen. Man kann Kindern durchaus zutrauen, eigene Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind immer mehr Eltern offen dafür, ihre Kinder an einer Trauerfeier teilnehmen zu lassen, wenn sie dies möchten. "Es gibt Tausende von Kindern, die den Tod kennen, weit über das hinaus, was Erwachsene wissen", formuliert es die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. "Erwachsene hören diesen Kindern vielleicht zu, gehen aber achselzuckend darüber hinweg. Sie meinen vielleicht, dass die Kinder den Tod nicht begreifen, und weisen ihre Gedanken von sich. Doch eines Tages werden sie sich dieser Lehren erinnern, möglicherweise erst Jahrzehnte später, wenn sie ›dem großen Feind‹ selbst ins Auge sehen, dann werden sie erfahren, dass diese kleinen Kinder die weisesten Lehrer und sie die Neulinge und Schüler waren."

(Veröffentlicht am 17. März 2020)

Autor/in: Lars Schmitz-Eggen