Nachruf für Willi Stocksiefen

Im Alter von 93 Jahren verstorben: Willi Stocksiefen (Fotos: privat)

Willi Stocksiefen war ein so kundiger wie redegewandter Referent.

Nachruf für Willi Stocksiefen

»Die Geister, die ich rief, sind aus Stein und die werd ich nicht mehr los.« So pflegte Willi Stocksiefen seine Beziehung zu Naturstein zu erklären. Als eingefleischter Natursteinliebhaber und -experte hat er mich unter seine Fittiche genommen und mich als Lehrling und Mitarbeiter akzeptiert. Das von ihm gegründete Sachverständigenbüro für Naturwerkstein, Betonwerkstein, Fliesen und Platten haben wir dann ca. 30 Jahre lang zusammen geführt. Am 19. Dezember 2021 schied Willi Stocksiefen unerwartet durch einen Herzanfall aus dem Leben. Er war 93 Jahre alt.

Ein Kölscher Jung
Willi Stocksiefen war ein »Kölscher Jung«. Geboren wurde er 1928 »auf einem Steinhaufen« im Steinmetzbetrieb seines Vaters. Schon früh gewann er Steine lieb, die er als Spielzeug und Bauklötze nutzte. Später erforschte er die physikalischen Eigenschaften der Steine, beispielsweise, indem er die Oberflächen ritzte, wobei er feststellte, dass sich verschiedene Steine durch unterschiedliche Ritzwerte auszeichnen. Indem er Plattenstücke umwarf und so zerbrach, testete er auch die Bruchfähigkeit der verschiedenen Gesteinssorten und lernte sie auf diese Weise unterscheiden. Von dieser Art der Gesteinsprüfung ganz und gar nicht begeistert war der Vater, der ihm vorwarf, er habe durch das Zerkratzen der polierten Platten Schäden verursacht, die man jetzt kostenintensiv beheben müsse. Diese Schelte bläute sich bei dem jungen Forscher tief ein – der Vater hatte ihm ordentlich den Hintern versohlt. 

Steinmetz, Ingenieur ...
Seine Schulausbildung schloss Willi Stocksiefen mit der Mittleren Reife ab, um dann Steinmetz zu lernen. 1947 erhielt er in der Minoritenkirche zu Köln seinen Gesellenbrief. Neben der Arbeit am Stein absolvierte Willi Stocksiefen ein Ingenieurstudium für Bauwesen und Statik, welches er 1954 zum Abschluss brachte. Die nächsten acht Jahre sammelte er Berufspraxis als Bauleiter für verschiedene Kölner Architekturbüros. 1962 gründete er dann sein eigenes Büro für Statik und fachtechnische Beratung für Naturwerkstein. 1969 wurde er von der IHK Köln offentlich als Sachverständiger für Naturwerkstein, Betonwerkstein, Fliesen und Platten, Statik sowie Baukonstruktion bestellt. Von 1970 an erweiterte er seinen Horizont als Mitglied im Europäischen Sachverständigenverband »Inter Expert«. 1999 hat Willi Stocksiefen seine öffentliche Bestellung an mich übergeben, um dann aber weiterhin mit großer Freude und ungebrochenem Interesse mit mir zusammenzuarbeiten. Im Jahr 2000 zog er in die Schweiz, wo er ebenfalls als Gutachter, Referent und Dozent für Naturwerksteine weitergearbeitet hat. 

... und Philosoph
Willi Stocksiefens Besuche in Köln waren von großen Sitzungen im Bierhaus geprägt. Zuerst ließ er sich berichten, welche Firmen wo welche Natursteinarbeiten durchführten und wer in der Natursteinfamilie gerade mit wem im Clinch lag. Danach wurden fachliche Belange diskutiert. Nach dem Genuss von ausreichend Kölsch philosophierten wir gerne über die Verbindung zwischen Natursteinen und Menschen. So tauschten wir uns feurig darüber aus, ob sich das Verhälnis zwischen Menschen und dem Werkstoff Naturstein nicht dadurch erklären ließe, dass Natursteine die Handschrift Gottes sind. Für Willi Stocksiefen waren die Liebe zum Naturstein und das Wissen um die Entstehung der Gesteine klare Hinweise darauf, dass eine menschliche Abhängigkeit vom Element Stein unausweichlich ist. Er sah Naturstein als ein Instrument Gottes bei der Schöpfung der Erde. Entsprechend wertschätzend müssten Menschen mit Natursteinen verfahren, folgerte er. Granit war für ihn der Ursprung allen Seins. In Anlehnung an das Bibelwort, das besagt, dass wir aus Erde geformt sind und dass unsere Körper wieder zu Erde werden, könnte sich unsere Materie auch wieder in Sedimenten und metamorphen Gesteinen wiederfinden – nur zum Ur-Gestein, dem Granit, könnten wir nicht zurück.

Immer mit Humor
Willi Stocksiefen war ein angenehmer Zeitgenosse: humorvoll, lustig, neugierig und lebensfroh. Seine gütige und herzliche Art brachte ihm viel Sympathie und viele Bekanntschaften ein. Gleichzeitig war er in Fachfragen immer neutral und korrekt sowie intelligent: Versuche ihn befangen zu machen, erkannte er immer früh genug – bewundernswert.
Gerne erinnere ich mich an eine Episode, die ich mit ihm auf einer mit Fliesen belegten Terrasse erleben durfte. Der zu begutachtende Fliesenbelag war total verschmutzt und von Grünspan befallen. Die eloquent wortreiche Hausfrau, im Nebenberuf Lehrerin, wollte dem Gutachter klarmachen, dass das Fliesenmaterial als Terrassenbelag nicht geeignet und somit mangelhaft sei. Nachdem Willi Stocksiefen den Redeschwall ausgehalten hatte, lobte er die Frau ob ihres wunderbar angelegten Gartens, welcher an einen Urwald erinnere und der Natur der Erde mit Spontanbewuchs und Pionierpflanzen Raum gebe. Die Ablagerungen auf den glasierten Fliesen seien Atmosphärilien natürlichen Ursprungs, die von der glasierten, einwandfreien Oberfläche der Fliesen bei Bedarf wieder entfernt werden könnten. Die Antragstellerin war beeindruckt und stolz, eine neue Gattung gezüchtet zu haben. Fünf Minuten später im Auto auf der Rückreise ins Büro kam der erlösende Kommentar: Die sollte besser nicht so viel reden, sondern ihre Terrasse putzen und den »Feudel schwingen«.
Das Wort Atmosphärilien hat sich dann in der Fachwelt eingebürgert und bleibt eine wunderschöne Wortkreation für eine biologische Ablagerung. 

Wer auch immer Willi Stocksiefen begegnete, war von seiner Erscheinung und seiner angenehmen Zurückhaltung beeindruckt. Dank seines großen Wissens und reichen Erfahrungsschatzes habe ich bei Zusammenkünften mit ihm bis ins hohe Alter nie eine Sekunde Langweile verspürt. Ich hoffe, dass sein »Geist« ewig bestehen bleibt.

(24.08.2022)
 

Autor/in: Hans-Jörg Engelhardt