Friedhofskultur soll immaterielles Welterbe werden

Friedhofskultur soll immaterielles Welterbe werden: Teilnehmer am Ohlsdorfer Bestattungsforum (Foto: Harald Lachmann)

Friedhofskultur soll immaterielles Welterbe werden. Eine branchenübergreifende Initiative aus Steinmetzen, Friedhofsgärtnern, Bestattern und Friedhofsverwaltern hat am 30. Oktober einen entsprechenden Antrag beim Hamburger Senat eingereicht. Der Bundesverband Deutscher Steinmetze (BIV) zögert als einziger großer Berufsverband bisher noch, die Bewerbung zu unterstützen. Die Hamburger Innung will sich dagegen beteiligen.
 
Die deutsche Friedhofskultur soll immaterielles Kulturerbe der Menschheit werden und hierzu in eine weltweite UNESCO-Liste aufgenommen werden. Einen entsprechenden Antrag reichte am 30. Oktober die sog. "Initiative Kulturerbe Friedhof" über den Hamburger Senat ein. Die Hansestadt war ausgewählt worden, weil hier die Initiatoren der Bewerbung ihren Sitz haben. Zu ihnen gehören der Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands, der Bundesverband deutscher Bestatter mit dem Kuratorium deutsche Bestattungskultur, der Bund deutscher Friedhofsgärtner, der Verein zur Förderung der Friedhofskultur, der Verband deutscher Natursteinverarbeiter sowie der Bund deutscher Grabmalhersteller.

Den ersten Schritt zu der Bewerbung hatte der Verband deutscher Natursteinverarbeiter (VDNV) gesetzt. "Denn im aktuellen Hype um alternative Bestattungen wird der wahre Wert des Friedhofs allzu leicht übersehen", so dessen designierter Geschäftsführer Tobias Pehle. Mit dieser Bewerbung wolle man die "sinnstiftende, kulturelle Bedeutung unserer über Jahrhunderte gewachsenen Friedhofskultur wieder breiter ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken", so Pehle, der auch Sprecher der Initiative Kulturerbe Friedhof ist. "Es geht im Kern um gesellschaftliche Wertschätzung und Schutz."

Das weltweite immaterielle Weltkulturerbe umfasst nicht bauliche Zeitzeugen sondern gesellschaftliche Bräuche, soziale Praktiken, Rituale und Feste oder auch das Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken. Auf der nationalen Liste stehen bisher 27 Kulturformen, so die Deutsche Brotkultur, der Rheinische Karneval, das Köhlerhandwerk, der Musikinstrumentenbau in Sachsen und die Handwerksgesellenwanderschaft Walz. Auf der internationalen UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes findet sich vorerst noch kein deutscher Beitrag. In Kürze dürfte hier jedoch die in Deutschland entstandene Genossenschaftsidee Einzug halten.

Für den Eintrag in die UNESCO-Liste ist es entscheidend, dass die schützenswerten Kulturgüter "lebendig und identitätsstiftend" sind. Beides sieht die Initiative in punkto Friedhofskultur in besonderem Maße gegeben. Unterstützt wird sie dabei von zwei Experten-Dossiers, wie sie für jede Bewerbung vorgeschrieben sind. Eines stammt von Prof. Dr. Reiner Sörries, langjähriger Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel und Geschäftsführer der AFD, das andere von dem Volkskundler und Kulturanthropologen Prof. Dr. Norbert Fischer von der Universität Hamburg. 

Sörries begründet die Aufnahme der deutschen Friedhofskultur in die Welterbeliste u.a. damit, dass "im Kernland der Reformation die Ideen der Aufklärung zur Neugestaltung des Friedhofswesens in organisatorischer wie gestalterischer Hinsicht auf besonders fruchtbaren Boden gefallen" wären. Außerdem sei es im Zuge der Friedhofsreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelungen, die "Ideale von Religion, Heimat und Handwerk gesamtgesellschaftlich zur Handlungsmaxime der Friedhofsgestaltung" zu machen.

Fischer sieht das Besondere der deutschen Friedhofskultur "in der Naturlandschaft, in die die Erinnerungskultur eingebettet" werde. Den Parkfriedhof Ohlsdorf sei ein klarer Beleg dafür: "Hier verschwinde der Tod hinter einer landschaftlich großartig gestalteten Kulisse." Friedhöfe in Deutschland wären damit zugleich Grünanlagen, soziale Treffpunkte sowie Orte kultureller Aufführungen.

Bei einer Präsentation des Antrags beim Bestattungsforum Ohlsdorf, die kurz vor Abgabe der Bewerbung stattfand, betonte Fischer noch einmal deren guten Chancen. Zuversicht äußerten auch Vertreter der involvierten Berufsverbände. Für Jan Gawryluk, Vorsitzender des Verbandes der Friedhofsverwalter, handelt es sich dabei auch um "ein Stück Friedhofspolitik", mit dem man sich auch öffentlichkeitswirksam gegen Defizite beim Kulturgut Friedhof wehre. 

Für Nadia Reumann, Vorstandsmitglied im Verein zur Förderung der Friedhofskultur und Geschäftsführerin der Treuhandstelle für Dauergrabpflege Schleswig-Holstein, werden  Friedhöfe "in ihrer Bedeutung oft unterschätzt". Denn es sei eben eine "Kultur der leisen Töne", der man mit dieser Bewerbung nun öffentlich stärker Gehör verschaffen wolle. Immerhin wäre die deutsche Friedhofskultur "in ihrer Vielfalt einmalig". Und der VDNV-Vorsitzende Oswald Kurz möchte mit der Aufnahme in das immaterielle Menschheitserbe auch das "handwerkliche Können, die traditionellen Fertigkeiten und die Kreativität der Menschen, die sie ausüben, bewahren und schützen".

Zusammenfassend verwies Pehle darauf, dass die 30.000 deutschen Friedhöfe sowohl für eine Kultur der Trauer und Erinnerung als auch eine Kultur der Begegnung und des Lebens stünden. So präge die Friedhofskultur stets auch "unser Leben und unser Selbstbild mit". Friedhöfe wären "Geschichtsbücher unseres Landes, unserer Städte, unserer Dörfer". Ihre identitätsstiftende Kraft reflektiere die "Leistungen unserer Vorfahren sowie die Geschichte und Strukturen unserer Gesellschaft". Die Initiative Kulturerbe Friedhof wolle deshalb auch ein Zeichen dagegen setzen, dass "viele den Friedhof nur noch unter pragmatischen und finanziellen Aspekten" sähen und Gräber vor allem "als teuer und pflegeintensiv" betrachteten.

Um es aber wirklich zu weltweiten Ehren zu bringen, hat die deutsche Friedhofskultur noch einen weiten Weg vor sich. Zunächst muss sie sich in einem nationalen Auswahlverfahren gegen 63 weitere Bewerbungen durchsetzen, um für die deutsche Liste bestätigt zu werden. Danach bleibt abzuwarten, welche nationalen Kulturgüter die deutsche UNESCO-Kommission in zwei, drei Jahren für die Welterbeliste anbietet. 

Laut Pehle erzeugte aber bereits diese nun eingeleitete Bewerbung "positive Impulse" für das Friedhofswesen in Deutschland – und zwar sowohl bei den am Friedhof tätigen Gewerken als auch in den Medien und bei der Politik. Dies wolle man gemeinsam mit weiteren Unterstützern ausbauen und verstetigen. 

Sehr zurückhaltend äußerte sich bisher jedoch der Bundesverband Deutscher Steinmetze. Denn er will mit einer eigenen Initiative stattdessen den uralten Beruf des Steinmetzen auf die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes bringen. So nahmen an der Veranstaltung in Ohlsdorf der Hamburger Obermeister Sebastian Herzog und Innungsgeschäftsführer Bert Ulrich Beppler auch nur als "Beobachter" teil, wie sie es nannten. Doch im Anschluss an die Präsentation erklärten beide für die Hamburger Innung, man werde diese Initiative fortan ebenfalls aktiv unterstützen. "Denn wir konnten nichts entdecken, was dagegen spricht", so Herzog. Dass damit auch Kolumbarien oder Aschestreufelder zum Kulturgut erklärt werden, sei sicher nicht schön, ergänzt Beppler. Doch müsse man eben dringend etwas tun, um den Friedhof "als förderungswürdig aufzuwerten und ihn zurück in das Zentrum der Gesellschaft" zu holen. Das könne letztlich nur Sache  aller hier tätigen Handwerker sein. 
 
www.kulturerbe-friedhof.de

(4.11.2015)

Autor/in: Harald Lachmann