Zeitreise durch die Bestattungskultur

Detail von Erich Trummers "Der liebe Tod und ich". (Fotos: Arnold Reinthaler)

Mit dem "Wandel des christlichen Grabmals" beschäftigten sich 13 österreichische Steinmetze für die Landesgartenschau in Kremsmünster. Unter der Leitung von Dr. Arnold Reinthaler arbeiteten sie interessante (Wende-)Punkte der Friedhofsgeschichte heraus und interpretierten diese zeitgenössisch. Die Fotos zu den folgenden Erklärungen der einzelnen Stationen finden Sie in unserer Bildergalerie.


Station 1, Helmut Moser: "Das Grab Jesu" (33 n. Chr.)

Der Eingangsbereich zur Ausstellung konfrontiert den Besucher  mit einer abstrahierten Interpretation des Grabes Jesu. Im Fokus steht hier der weggewälzte Stein, der dazu einladen soll hindurchzugehen, um mit einer Zeitreise durch die Ausstellung zu beginnen. Der Stein selbst stellt den Bocca della Verità (Stein der Wahrheit) dar und verweist auf antike Grabesdarstellungen. Für frühe Christen dieser Zeit gibt es noch keine spezifisch gekennzeichneten Gräber. Das Friedhofswesen ist privat organisiert, die Toten werden entlang der großen Ausfahrtsstraßen aus den Städten begraben. Helmut Moser, Steinmetzmeister aus Seekirchen am Wallersee, fertigt den Stein der Wahrheit aus Untersberger Marmor in Originalgröße. Der umgebende Raum konstituiert sich durch einfache Holzbalken. 


Station 2, Wolfgang Gollner: "Bunte Antike" (220 n. Chr.)

Die Römer gestehen steinerne Grabzeichen nur angesehenen und reichen Familien zu; die toten Körper armer Leute werden in anonymen Verwesungsgruben entsorgt. Eine weiße Marmorstele zeigt eine reliefartige Trauerdarstellung mit lateinischer Inschrift, wie es bei römischen Familiengräbern üblich ist. Anders als heute sind in der Antike Natursteine auch farbig gefasst, bunt bemalte Steine also nichts Ungewöhnliches. Wolfgang Gollner, Steinmetz aus Gallneukirchen, verwendet als Bildmotiv eine Pop-Art-Darstellung Roy Lichtensteins aus den 1960er-Jahren. Er arbeitet das moderne Relief in Carrara Marmor und koppelt dadurch das ehrwürdig klassische Repräsentationsmedium Stein mit einem lauten, komikartigen Bild. Er verweist darauf, dass Tod und Trauer durchaus auch ein heiteres Lächeln hervorzaubern können.

Station 3, Hans Paar: "Das Gesetz des Mittelalters" (785 n. Chr.)
Die museale Vitrine beinhaltet einen in Steinfragmenten gravierten Gesetzestext, der im frühen Mittelalter von Kaiser Karl dem Großen verfügt wird (Edikt von Paderborn): Unter Androhung der Todesstrafe dürfen Leichen demnach nicht mehr verbrannt und müssen rund um die Reliquie einer Kirche bestattet werden. Hans Paar, Steinmetzmeister aus Fladnitz im Raabtal, erweitert diesen Gesetzestext mit "zeitgeistigen" Geboten der Gegenwart. Unsichtbar vereint und festgeschrieben in ein und derselben Steintafel stehen sich hier zwei konkurrierende Weltbilder gegenüber, ein mittelalterliches und ein zeitgenössisches.


Station 4, Raimund Fuchs: "Eingrenzen und Ausgrenzen" (1040 n. Chr.)

Um die Exklusivität des umfriedeten Grabsteins gut sehen zu können, muss man "drinnen" sein, und den Eingang des kreisrunden Holzzaunes finden. Aber ist man dann ein- oder doch eher ausgegrenzt? Im Hochmittelalter jedenfalls sind viele Menschen von der Heiligen Erde eines Friedhofs verbannt: Unbekannte, Bettler, ungetaufte Kinder usw. Raimund Fuchs, Steinmetzmeister aus Bergheim bei Salzburg, macht das Grabdenkmal, das gegenwärtig zusehends an den Rand gedrängt wird, selbst zum ausgegrenzten Objekt.

Station 5, Thomas Pilsl: "Gotischer Peilstein" (1280 n. Chr.)
Ein Grabstein in Form eines gotischen Spitzbogens und eines Nonnenkopfes zur Durchsicht trägt kein herkömmliches, schmuckes Kreuz, sondern ein Fadenkreuz. Der Stein ist zwischen zwei alten, bereits bestehenden Meridiansteinen positioniert, die den Blick auf die Sternwarte des Stiftes lenken sollen. Im Mittelalter sind es christliche Heilige oder deren Reliquien, nach denen die Grabungsstätten rund um die Kirche ausgerichtet werden. Wichtiger als repräsentative Grabsteine ist das Naheverhältnis der Toten zur Strahlkraft des Heiligen. Thomas Pilsl (Schärdinger Granit Industrie GmbH), Steinmetz aus St. Florian am Inn, installiert auf einer drehbaren Scheibe zusammen mit einem Hocker einen eigenen Peilstein. Das via Fadenkreuz angepeilte Objekt ist dadurch nicht mehr vorherbestimmt. Jeder kann nun selbst die Perspektive wechseln und nach einer Zukunft des Erinnerns suchen, die sich anzupeilen lohnt.

Station 6, Rudi Wienerroither: "Schriftbilder der Renaissance" (1460 n. Chr.)
Während der großen Pestwellen in Europa entstehen außerhalb der Städte und abseits der Kirchen die ersten Friedhöfe. Die Frage nach der Gestaltung dieser neuen Orte gewinnt – gerade auch im Kontext der Reformation – zusehends an Bedeutung. Vor allem die Schrift wird zu einem wichtigen Gestaltungselement. Rudi Wienerroither, Steinmetzmeister aus Frankenburg, greift dieses Renaissance-Thema auf und gestaltet einen Stein aus Sölker Marmor, der die Besucher zwingt, um das Objekt herumzugehen: Die Inschrift, ein Zitat Oscar Wildes, ist nach der mathematischen Figur der Endlosschleife angelegt und soll die Betrachter in Bewegung versetzen. Der geloopte Text verschwimmt mit der Textur des Materials und dessen Ewigkeitsanspruch

Station 7, Norbert Kienesberger: "Im Tod sind alle gleich" (1557 n. Chr.)
Auf der Erde liegt weiß glitzernder Marmor in Form einer Grabplatte und nimmt Maß am menschlichen Körper. Bezugnehmend auf Leonardo da Vincis Proportionsstudie und den damals neuen Friedhofstyp Campo Santo wird hier das Postulat von der "Gleichheit der Menschen im Tod" visualisiert. Sind es in der Renaissance noch aufwändig gearbeitete Reliefs, welche angesehene Fürsten repräsentieren, verweist heute oftmals ein schlichter Abdruck auf die Abwesenheit eines Verstorbenen. Norbert Kienesberger, Steinmetzmeister aus Schlüsslberg, arbeitet den Abdruck eines anonymen "Schneeengels" heraus, dessen Bewegung eingefroren wird. (Fast) jeder könnte in dieser Passform Platz finden.

Station 8, Ernestine Lehrer: "Das Totenbrett" (1630 n. Chr.)
Im 17. Jahrhundert setzt sich der Wille zur Repräsentation und die Tendenz, Grabstätten auch zu kennzeichnen, immer stärker durch. Vielerorts wird als persönliches Grabzeichen das einfache Totenbrett verwendet: Ein rechteckiges Holzbrett, auf dem der Tote zunächst aufgebahrt, dann zum Friedhof getragen wird, ehe das Brett in die Vertikale gebracht und beschriftet wird. Ernestine Lehrer, Steinmetzmeisterin aus Wippenham, macht dieses Brett zum Medium und Speicher von Erinnerung aller Vorbeikommenden. 

Station 9, Erich Trummer: "Der liebe Tod und ich" (1720 n. Chr.)
Mitte des 18. Jahrhunderts konstituiert sich das Erscheinungsbild moderner Friedhöfe, nämlich als Aneinanderreihung steinerner Grabmarkierungen. Der Totenkopf ist zusammen mit anderen Vanitas-Motiven ein vielzitiertes Symbol von Vergänglichkeit. Durchaus heiter dargestellt, soll er im Hochbarock den Verfall des menschlichen Körpers zeigen. Erich Trummer, Steinmetzmeister aus Gnas, fertigt einen Totenkopf aus weißem Marmor und erhebt ihn auf einen Sockel, der die durchschnittliche Größe eines erwachsenen Menschen aufweist. Im Spiegel gegenüber kann man sich selbst und dem "Tod" in die Augen blicken und über die eigene Vergänglichkeit nachdenken.

Station 10, Stephan Pointner: "Der bürgerliche Parkfriedhof (1840 n. Chr.)
Im 19. Jahrhundert werden Friedhöfe bewusst für die Betrachter gestaltet, selbst einfache Leute bekommen ihr eigenes Grab. Es entsteht der "schöne"

Trauerort, der durch die Summe seiner Grabstätten geprägt ist. Die Industrialisierung bringt eine Masse an Grabschmuck hervor und bestimmt die Ästhetik der bürgerlichen Grabmäler. Stephan Pointner, Steinmetzmeister aus Hofkirchen a. d. Trattnach, inszeniert in Anlehnung daran einen Zeitreise durch die Bestattungskultur einen Guckkasten, der auf mehreren Sichtebenen versteinerte Objekte zeigt, die im Historismus charakteristisch für überladene Zierfriedhöfe sind. Das Beiwerk wird zum zentralen Inhalt. 

Station 11, Michael Gruber: "Die Würde des Menschen" (1963 n. Chr.)
Mit dem zweiten Vatikanum toleriert auch die katholische Kirche die Kremation. Es werden erste Urnenbeisetzungen unter anonymen Wiesengrabfeldern angeboten. Der tote Körper wird verbrannt, der Leichnam nicht mehr erdbestattet, was zu Überhangsflächen auf Kommunalfriedhöfen führt. Michael Gruber, Steinmetzmeister aus Kremsmünster, macht auf diese für ihn negative Entwicklung aufmerksam ("Entsorgung des Menschen"), indem er ein düsteres Zukunftsszenario zeichnet: Erhöht wird nicht mehr das Abbild eines Heiligen, sondern ein einfacher Schoßhund, der ähnlich dem "Goldenen Kal" angebetet werden kann. Menschliche Reste hingegen mischen sich als Urnen mit dem Unrat der Gesellschaft. 

Station 12, Ortrun Skala: "Masse ist Klasse" (1985 n. Chr.)
Im 20. Jahrhundert sind Friedhöfe durch industriell gefertigte Massenware der Granitindustrie geprägt. All zu stark reglementierte Trauerstätten bedingen einen maschinengerechten Friedhof und umgekehrt. Die Suche nach neuen, fremdländischen Materialien steht im Vordergrund. Eine Aneinanderreihung gleichförmiger Gräber bestimmt das Friedhofsbild der Postmoderne. Ortrun Skala (Fa. Poschacher), Steinmetzin aus Mauthausen, kritisiert selbstironisch diese Praxis und die damit einhergehende Tristesse: Der Leitspruch "Masse ist Klasse" wird unterwandert, indem in sieben industriegenormten Grabsteinen "Aktion" eingraviert und der Stein dadurch entwertet wird. Masse verwöhnt die Kasse, beschleunigt aber auch den Zerfall kommunaler Friedhöfe.

Station 13, Bernhard Baumgartner: "Die neue Alternative: Stein" (2017 n. Chr.)
Gegenwärtig bestimmen alternative Bestattungsformen Friedhofsdiskurs und -praxis. Individualisten des 21. Jahrhunderts suchen nach neuen Formen des persönlichen Erinnerns. Zeitgenössische Steinmetze bieten daher das personenbezogene Grabmal und verweisen auf die Bedeutung eines markanten Grabzeichens, durch welches das Individuum einzigartig repräsentiert wird. Bernhard Baumgartner, Steinmetzmeister aus Vöcklabruck, verbindet den zunehmenden Wunsch nach einer Baumbestattung mit einem steinernen Grabeszeichen: Durch das eingearbeitete Mühlespiel am Grabstein werden Besucher eingeladen, für länger als ein Vaterunser am Grab zu verweilen und sich danach einen Spielstein mit nach Hause zu nehmen. Unter Einbeziehung des Verstorbenen wird der Friedhof so zu einem Ort der Kommunikation und des öffentlichen Erinnerns.

(Veröffentlicht am 29. August 2017)

Autorin: Christine Kulgart