Friedhof als Ort der Lebenden

Rund 120 Besucher kamen zum Friedhofskulturkongress nach Bad Windsheim. Foto: Alexander Hanel

Der gut besuchte dritte Friedhofskulturkongress Ende April in Bad Windsheim ließ keine Zweifel offen: Die gewachsene Gedenkkultur ist auch in der heutigen Gesellschaft unverzichtbar. Friedhöfe müssen sich aber stärker für neue Funktionen öffnen und diese auch in der Öffentlichkeit publik machen.

Wer den Friedhof und die mit ihm über Jahrhunderte gewachsene Gedenkkultur erhalten will, muss ihn heute stärker zu einem Ort für die Lebenden machen. So lautete der Tenor der vier Referenten auf dem dritten Friedhofskulturkongress am 27. April in Bad Windsheim. Dabei hinterfragten die Vortragenden das Veranstaltungsmotto "Unser zukünftiger Friedhof – ein Ort für die Lebenden?" ebenso kritisch wie konstruktiv. Rund 120 Entscheidungsträger, Friedhofsverwalter und Friedhofsschaffende aus ganz Bayern und weiteren Bundesländern waren der Einladung der beiden ambitionierten Organisatoren Susanne Thürauf, Dienststellenleiterin des evangelischen Friedhofs Bad Windsheim, und Alexander Hanel, Steinmetz sowie Vorstand des Bundes deutscher Grabsteinhersteller, ins KKC Bad Windsheim gefolgt. Karin Hüttel, Dekanin in Bad Windsheim, wünschte sich als Schirmherrin des Kongresses "gute Anregungen und Ideen zur Gestaltung unserer Friedhöfe als Orte auch für die Lebenden, damit wir weiterhin achtsam auf die Bedürfnisse von trauernden Mitmenschen eingehen können".

Persönliche Grabgestaltung
Die Biologin, Landschaftsplanerin und Gartenbuchautorin Brigitte Kleinod aus Waldems befasste sich mit der "Persönlichen Grabgestaltung als Zeichen der Verbundenheit und Trauer". Für besonders wichtig hält sie einen Ort, an dem die Hinterbliebenen "die Beziehung zum Verstorbenen aufrecht erhalten und erfahren können". Ein persönliches Grab mit Namen und Daten auf einem nah gelegenen Friedhof sei "unersetzbar". Trost und Möglichkeiten zur Trauerarbeit böten in diesem Zusammenhang auch persönlich gestaltete Grabmale inklusiver Bepflanzung. Erst im "Aussuchen und Setzen des Grabmals" sieht die Referentin den Abschluss einer Beerdigung. Für sie steht auch "nicht das Loslassen im Mittelpunkt der Trauerarbeit, sondern das Finden einer Möglichkeit, die Beziehung zum Verstorbenen weiterleben zu lassen und selbst gestalten zu können". Dies lehre auch die Ahnenverehrung anderer Völker, für die es heilsam sei, die Toten weiterhin als Familienmitglieder zu betrachten. Kritisch merkte Kleinod an, dass sich auf Gartenschauen kaum Gestaltungsvorschläge für Kindergräber fänden. Dabei unterlägen Grabmale für Kinder "meist keinen strengen Gestaltungsvorschriften". Individuell gefertigte Kissensteine, Kugeln und kleine Stelen z. B. aus hellem Stein eignen sich aus ihrer Sicht dafür am besten.

Bürgernahe Friedhöfe
Das Bild eines "bürgernahen Friedhofs als künftige Kulturstätte" zeichnete der
bundesweit renommierte Landschaftsplaner Prof. Dr. Gerhard R. Richter aus Freising. Ihm zufolge müssen Friedhöfe über ihre primäre Funktion als Ort der Bestattung hinaus von den Menschen stärker als Orte der Erholung, zum Verweilen und Spazierengehen sowie der ökologischen Nachhaltigkeit wahrgenommen werden. Er sieht klare gesellschaftliche Trends, wonach die Bürger »bei Ausbau und Unterhalt von Friedhofsräumen stärker beteiligt sein wollen«. Für Richter ist der Friedhof der Zukunft eine "Synthese Grabstätten, standortgerechten Baumarealen und bürgernahen Kulturangeboten". Er geht davon aus, dass sich die Bestattungsareale zu "weiter entwickelten Parkfriedhöfen und damit zu vielfältig nutzbaren Naturfriedhöfen mit kulturellen Verweilangeboten – etwa Friedhofscafé oder Veranstaltungsbühnen – profilieren".

Christoph Keldenich, Vorstand von Aeternitas, der Verbraucherinitiative Bestattungskultur, erlebt aktuell eine "Veränderung vom mittelalterlichen Kirchhof zum modernen Friedhof mit einer nie da gewesenen Vielfalt an Möglichkeiten". Der Friedhof müsse sich zu einem "allgemein angenommenen und akzeptierten Ort der Begegnung und Kommunikation" entwickeln, den die gesellschaftliche Öffentlichkeit verstärkt "als Rückzugs- und Erholungsraum für alle Bürger, nicht nur für Trauernde" wahrnimmt. In Städten wie Leipzig und Göttingen werde das inzwischen auch durch die Stadtverwaltungen forciert. Umfragen im Auftrag von Aeternitas hätten allerdings gezeigt, dass erst 52 % der Deutschen im Friedhof mehr als einen Bestattungsort sehen. Deshalb müssten alle am Friedhof und seiner Zukunft interessierten Gruppen seine Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte und die Umwelt- bzw. Gesundheitsvorsorge sowie seinen Erholungs- und Freizeitwert, seinen denkmalpflegerischen Wert, seine ökologischen Funktionen für Flora und Fauna und seine konkret messbaren stadtklimatischen Faktoren popularisieren helfen. Laut einem Forschungsprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ist dabei die Größe eines Friedhofs nicht ausschlaggebend – dafür umso mehr die vorhandene Infrastruktur in Bezug auf Wege, Aufenthalts- und Sitzbereiche, den hohen Grünanteil und die gute Anbindung durch den Nahverkehr.

Friedhöfe sind lebenswichtig
Einen ebenso nachdenklich stimmenden wie berührenden Schluss punkt setzte der evangelische Pfarrer Nikolaus Schneider. Er war seit 2003 erst Präsident der Evangelischen Kirche im Rheinland und danach als Ratsvorsitzender der höchste Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Als seine Gattin 2014 an Krebs erkrankte, zog er sich ins Privatleben zurück. Schneider hatte bereits eine seiner Töchter durch eine Krebserkrankung verloren. So stellte er seinen im Stil einer Predigt gehaltenen Vortrag unter das Motto "Wenn der Tod vom Leben singt – Leben und Glauben mit dem Tod geliebter Menschen". Darin machte der Pfarrer noch einmal die für ihn "lebenswichtige" Funktion von Friedhöfen deutlich: "Friedhöfe können uns lehren: Stärker als der Tod ist die Liebe! Im Gottvertrauen über den Tod hinaus können wir die Gräber unserer Verstorbenen als Orte liebevoller Erinnerungen und als Orte lebendiger Hoffnung erfahren.« Denn, so der Theologe: »Sterbende sterben unserer Liebe nicht weg! Das ist eine wunderbare Entdeckung, die wir an Sterbebetten und auf dem Friedhof machen können."

Autor/in: Harald Lachmann